Days of Thunder

auch hier extremer Wechsel zwischen schwüler Hitze und Wolkenbrüchen, die Innenstadtumfahrung für vier Jahre gesperrt, weil so eine Art Hyperbahnhof gebaut werden soll, der aus der Stadt dann eine Art unterirdischer Leere umrandet von ein paar Handyshops machen wird, kilometerlange Staus, hybride Architektur, masslose Kosten; heute mehrere Anschläge auf Synagogen, als ob die extremen Repressalien der Israelis gegen die Palästinenser hier vor Ort gerächt werden sollten, mehr Polizei, als die Stadt Einwohner hat, stehen in der Sonne herum und lassen sich filmen, um der Welt zu zeigen, wie pro-jüdisch und antifaschistich Deutschland ist.
Ich sitze in einer Marathonsitzung zum Thema innerbetriebliche Gesundheitsförderung, Alibi-Veranstaltung, um den Frust zu kanalisieren, wie es aussieht.

Später Eis mit Sahne, später roter Lack auf dem Display, das deine Finger zeigt.
Ich versinke kurz in Erinnerung und fühle, wie sehr ich zu rotem Lack geworden bin, der deine Fingernägel bedeckt.

Gestern ganz spontan und vor dem Hintergrund, dass ich nicht erst im Herbst, der jetzt schon voller Termine ist, die atemberaubende Tour durch die Hände und Apparate der Kollegen gehen will, urologische Kontrolle („die grosse Hafenrundfahrt“) – soweit sichtbar, alles paletti, Blutbefunde kommen noch.
Bei der Blutabnahme wird (pecunia causa) Testosteron gleich mitbestimmt; vielleicht habe ich Glück und werde diese Funkfußfesseln bald los…
Kaum hat der Urologe die Ultraschallsonde aus meinem After gezogen, hänge ich mich ans Telefon und ergattere den letzten Termin für die anstehende Kontrollgastroskopie, erkläre einer jungen, russischen Assistentin, was das ist, und lasse Blut und kriege Abstriche von Rachen und Nase, damit ich keine MRSA einschleppe; je arroganter ich werde, umso mehr schwappen kleine Panikwellen hoch; Donnerstag werde ich eingeschläfert und hoffe, everything will be okay.
Wenn ich bluten sollte, ist die Chance, den allerletzten Krankenhausaufenthalt meines Lebens zu erleben, immerhin 1:1., was besser ist, als bei der dritten Blutung, bei der meine Chance Null wäre.
Habe mich entschlossen, zum schwarzen iPhone 5 schwarze Crocs und ein halbärmeliges schwarzes T-Shirt zu tragen, einen schwarzen Calida New Boxer Short mit feinen Nadelstreifen, dazu eine weich fallende gestreifte Baumwollhose in dezentem Grün und Weiss, nur wenig Gel im Haar und das zu jeder Gelegenheit passende Gris claire von Lutens.
Und ohne Brille verschwimmen die Pulsoximetrie, Schläuche und ziemlich offen gekleideten Med.-Tech.-Assistentinnen zu einem diffusen Farbenrausch, den ich so ca. 7 sec geniessen kann, bis das Propofol anflutet, wie ein Schlag auf den Kopf.
Aufwachen ist halb so schön, aber, ehrlich gesagt, mir in diesem Fall lieber.

für M.

als ich dich zum ersten Mal gesehen habe, warst du befangen, wie ich; ein kleiner Mann, der jüngste unter all den Großen, die ihm Schutz und Liebe gaben und geben, aber immer das Sagen hatten und haben.
Du bist nicht gerufen worden in unsere Welt, aber du bist gekommen und vom ersten Tag an geliebt worden von allen, die gute Herzen haben und sich von lächelnden Babys um den Finger wickeln lassen, also von jedem.
Du hast schnell gemerkt, dass ich dir nichts und niemand fortnehmen wollte, und du hast gemerkt, dass so ein richtig erwachsener Mann sich sogar gegen diese Frauen durchsetzen kann, die viel von Spiegelneuronen erzählen, Fernbedienungen verstecken und den Fernsehkonsum begrenzen wollen, sehr viel grünes Zeug essen und ein unnatürlich gespaltenes Verhältnis zu McDonalds und Fertigpizza haben.
Und jetzt sind wir die Herren der Fernbedienung und manchmal gehen wir auch was Richtiges essen (Big Mac und so)!
Und als ich dir erzählt habe, wie ich mit Druckluftbohrern und ganz in Grün und hinter einer Bleischürze versteckt vor dem Bildwandler stehend unter den Augen eines schreckerstarrten Oberarztes die zerbröselten Sprunggelenke kleiner Jungen zusammengeschraubt habe, hast du jede Gelegenheit ausgenutzt, um mir eine Schramme zu zeigen, damit ich dir mit sehr ernstem Gesicht versichern konnte, dass wir nicht operieren müssten und die beste Therapie darin bestehe, das Bein vor dem Computer hoch zu lagern.
Da war ich dein Held.
Und jetzt, wenn wir uns sehen, stürzt du in meine Arme und lässt dir über den Kopf streicheln. Und das sind die Momente, in denen ich weiß, dass ich nur einen Fehler in meinem Leben gemacht habe: kein Kind zu bekommen.
Mach‘ weiter so – und vergiss nicht: das erste iPad deines Lebens hast du von mir!
(P.S. Spiegelneuronen sind höchstwahrscheinlich auch so eine Erfindung von Frauen, denen nix besseres einfällt, um einen kleinen Mann von der Couch zu kriegen – nicht bluffen lassen.
Wir sehen uns bei McDonalds, Alter!
Love you.)

logical end of file reached

brennender Schweiß rinnt in die Augen und über das Gesicht, Windstille bei gefühlten 40 Grad, Entschleunigung auf allen Ebenen, 4 Liter Tee, um das türkische Essen ‚runterzuspülen, und trotzdem absolviere ich mein Programm, wie seit Wochen: die systematische und wie mit dem Läusekamm vorgenommene Durchforstung der ganzen, nie überladenen, sondern eher spartanisch eingerichteten Wohung, das Sortieren danach, ob etwas brauchbar ist oder seit langem unnötigerweise Platz wegnimmt.
Eine Angewohnheit, die ich seit der Kindheit beibehalten habe, die Aufrechterhaltung des Prinzips, dass ich mit meinem ganzen Hausrat und Besitz innerhalb weniger Stunden fort sein kann, frei, nicht von Hab und Gut gefesselt, in einem durchorganisierten und strukturierten Ambiente lebend, jederzeit bereit bin für den Beginn einer beliebigen Reise, ob diese nach China, in den Nachbarort oder ins Nichts führen sollte.
Und wenn ich aufgerufen werde, wenn das Ticket gezogen wird, kann ich mich umdrehen und aus dem Bild heraustreten, ohne dass mein Fehlen störend bemerkbar wäre, ich kann das perfekte Bild zurücklassen, das unpersönliche Schnittmuster eines Lebens, dessen ganze Reichhaltigkeit in mir und mit mir aufgeht und kein Ding braucht als Vermittler für Erinnerungen.
Niemand hat hier Spuren hinterlassen, jedes Link führt ins Leere, niemand wird kompromittiert und alles wird gerinnen zu einem langsam verblassenden Traum.
Dieses ungebändigte Gefühl von Reichtum ohne Besitz, von wirklicher Freiheit, vom Bewusstsein, niemand gestört zu haben und nicht gestört worden zu sein, allein ohne Einsamkeit.

In der feuchten Schwüle, die längst in meiner Dachwohnung herrscht, selbst, als es draußen schon wieder kühler wird, finde ich keine Ruhe, schaue Reality Bites und Basic Instinct an, bis die erste Salve einer Unwetterfront niederprasselt, lege mich nackt auf mein Bett und rutsche irgendwann gegen 01:30 h in Tiefschlaf, aus dem mich der kühle Hauch des Frühmorgens wieder weckt; es regnet, Gott segnet, die Erde wird nass.
Ich kann kaum auftreten, ohne dass mich die Zerrung im linken Knie aufstöhnen lässt.
Ich schalte alle Geräte wieder online und beschließe, mir abends noch den letzten Einbauschrank vorzunehmen.
Schlaflosigkeit ist ein gutes Mittel gegen depressive Verstimmungen, Auf- und Ausräumen der Königsweg, um Struktur in’s Leben zu bringen, auch innen, auch, wenn es um die Landkarte des Herzens geht.
Die Berührung deiner Haut genügt, um mich ruhig werden zu lassen, wie ein Welpe, den man auf den zusammengerollten Berg seiner Geschwister, die sich um das Muttertier lagern, legt – aber du bist nicht da und das bedeutet, dass das fragile Equilibrium in dem ich schwanke, in all seiner abhängigen Brüchigkeit sichtbar wird und zeigt, wie sich die Ränder des Feigenblattes aufwölben, wie ein unterbluteter Notverband.
Und beim erneuten Einschlafen sehe ich mich selbst, zehn Jahre älter, etwas knochiger, aber immer noch mit dem Rest subtilen Charismas ausgestattet, das kleinen Mädchen den Mut gibt, ihre patschigen Hände in meine zu legen, wenn sie neugierig-furchtsam einen großen Hund streicheln möchten, immer noch mit dem leisen Lächeln, das kleinen Jungen die großen Schritte erklären kann, die sie vor sich haben auf dem langen Weg zum Mann; Mut werde ich ihnen machen, beiden.

Ich vermisse deine Lieblichkeit, die sich in den Augen der Kinder spiegelt.
Ferne Frauen, leise Lieder.

Licht

das Wahrnehmen ohne Verdacht, das bejahende Anschaun einer Frau erscheint mir heute als volkommenes Glück
(Ch. Meckel, „Licht“)

spiel‘ nicht mit den Schmuddelkindern

Als ich ihn zuletzt sah – ein Mann in den besten Jahren – war er allein.
Er hatte eine Affäre beendet, die ihm selbst wie die gelebte Zusammenfassung aller früheren Erfahrungen erschien, die ihm in kürzester Zeit und intensiv vor Augen führte, wie er geradezu masochistisch-lustvoll sein inneres Wohlbefinden im Kontakt mit Frauen auf’s Spiel setzte; getrieben von der Sehnsucht nach Wärme, Anerkennung, Liebe; sein fragiles Selbst in die Obhut obskurer Menschen gab, die wenig Skrupel hatten. Seine Bedürftigkeit, seine kindliche und naive Hingabe ausnutzten für ihre hintergründigen Interessen – geh‘ nicht dorthin.

don’t cry for me, Argentina

der Regen macht gerade eine Pause und es ist eine deutliche Tendenz zu sommerlichen Wetterbedingungen angesagt.

Das Wochenende ist verlaufen, wie oft: 6 Stunden (mit langen Pausen) um den See, wobei eine Vollsperrung des Weges die Strecke um 30 % verlängert hat, dann Tee und feinste Kuchen, Rückfahrt in’s Tal, dort ein neues Restaurant ausprobiert: Kriegs-Fuss, ein feinstes Entrecôte und Jesus-Fisch gegessen, gegrillte Gemüse und Rosmarinkartoffeln, Erdnusseis mit Nuss-Splittern, dann einen öden israelischen Film angesehen, in dem es um die melodramatisch aufgezogene Hass-Liebe eines jungen Mädchens zu einem deutlich älteren Mann ging; ich habe verpennt, wer gewonnen hat; geschlafen, wie ein Stein.

Am Tag darauf mit Joachim Löw lange telefoniert und letzte Instruktionen für das abendliche Spiel gegeben; er hat einen Tag vor mir Geburtstag (Wassermann) und reagiert, wie viele Wassermänner, ab und zu übernervös, ich habe ihn aber ‚runterreden können, und „Schland“ hat ja dann auch die Sache ganz manierlich zuende gebracht.

Heute business as usual; nachmittags das besondere Vergnügen, mit einer jungen Frau während ihrer Untersuchung zu parlieren – die Glückliche ist vorgesehen, statt meiner Wenigkeit in absehbarer Zeit den Konzern in China zu vertreten.