men are the new women

schon Freitag war klar, dass es ein verregnetes Wochenende werden würde, dieser Umstand plus Innenbandzerrung am linken Knie haben die übliche Trainingsrunde in’s Wasser fallen lassen und mich nach Düsseldorf getrieben, wo sehr, sehr eindrucksvoll die noch längst nicht behobenen Sturmschäden zu besichtigen waren, neben der angesteuerten Ausstellung im Rahmen der Quadriennale „Kunst und Alchemie“ (Aufklärung, Okkultismus, Aberglaube), die mich bis zum koreanischen Abendmahl im „Shilla“ beschäftigt hat, unterbrochen von kleinen Gängen zu Apple und in die Altstadt, begleitet von Erinnerungen, die wie iPhone-Piepstöne mein latentes Bewusstsein in Abschnitte von echtem Durchschnittsleben und Herz-hüpfendem Glück aufteilen.



Daniel Robleto (aus Kohlenstaub, Kohle, Pigmenten und Erde sowie Kunstharz geformte Rippe)

Irgendwo ein Satz an der Wand, den ich sinngemäß Minuten zuvor selbst formuliert hatte, dass nämlich das Spiel der Alchemisten mit ihren diversen Finanziers, die, getrieben von Goldgier, abergläubisch allen experimentellen Blödsinn bezahlt haben, bis der Misserfolg klar wurde, das gleiche ist, wie der Bezug zwischen Bänkern und dummen und geldgeilen Durchschnittsmenschen; die einen versprechen dir Unsummen in Gold und Geld, die anderen finanzieren die windigen Geschäfte und werden arm dabei.

Fast endloser Schlaf, endlich, zehn Stunden lange Nächte im rauschenden Regen, plötzliche Sehnsucht danach, die vorübergehende Abordnung nach China doch kämpferischer argumentativ durchgesetzt zu haben, später innere Stille mit der Klarheit: und wenn ich morgen tot umfalle, so wüsste ich im letzten Moment, dass ich alles bekommen habe, was ich wollte und zuletzt sogar erfahren habe, was Liebe ist, dieses Riesenwunder erlebt habe, still und fassungslos, vollendet, obwohl unvollendet.

Per mail von Susanne 2 kommt ein Linktip, den ich hier weitergebe, weil das bzw ein zu erwartendes Event mit Sicherheit ein Meilenstein sein wird, auch, wenn es noch etwas dauert, bis es soweit ist; ich werde alles versuchen, um mir das anzusehen:
Monika Schulz-Fieguth.
Eine selbst sehr schöne und sinnlich-attraktive Frau, vor deren femininer Kraft ich sprachlos den Atem anhalte, schafft hier Bilder, die unverkennbar Tiefe, Sinn und Wert haben und mich weitaus mehr interessieren, als die gestern gesehene Ausstellung.
Diese Bilder anzusehen bewirkt auch, dass jeder eigene Versuch, sich auf diesem Terrain umzutun, entlarvt wird, nichtmal mit Anfängerglück einen solchen Wurf hervorbringen zu können.

Systeme

dann lass‘ uns tanzen, wie du es nennst, lass‘ mich die Schritte lernen, um dem Schwung zu folgen, erzähl‘ mir Geschichten für solche, die erwachsen werden wollen.
Von mir musst du nicht viel wissen; ich bin das Bild einer Wärmekamera, eines Spiegelkabinetts, ich bin ein flüchtiger Duft, ein Lächeln, eine Wendung in Zeitlupe.

Ich habe lange Jahre auf einem Floß gelegen, mit dem halben Körper im Wasser und ständig in Gefahr, auf hoher See verloren zu gehen, nur gehalten mit einer Hand, jeder Brecher ein Kräftemessen, unter den Blicken derer, die das Floß besetzt hatten und neugierig waren und gefühllos. Ich war nicht vergessen, ich war anzuschauen, ich war der, der am Floß hing für alle Fälle, der, der keinen Platz verbrauchte, der vom Wasser getragen kein Ballast war.
Nie habe ich Menschen gesehen, die weniger Gefühl und Einfühlungsvermögen gehabt hätten, nie war ich in so großer Gesellschaft so allein.
Jahre habe ich gebraucht, um zu begreifen, dass ich die Regeln nicht kannte, die auf dem Floß galten, dass meine Regeln andere waren, von Wert an Land, wertlos auf dem Wasser.
Und so habe ich gelebt, denn du musst nach den Regeln spielen, die dort gelten, wo du dich festklammerst, und das wird umso schwerer, je deutlicher wird, dass du deine Regeln und Werte nicht vergessen konntest.
Irgendwann geht es nicht mehr um Regeln und Werte, irgendwann zeigt sich das, was über solchen Begriffen steht, als Gerüst, als Summe: das System.
Regeln und Werte, verletzendes Verhalten, Destruktion können besprochen werden, in Stücke zerlegt betrachtet werden, sogar isoliert und geändert werden – Systeme nicht.
Und wenn ich halb in meinem System, halb in dem System anderer lebe und dabei auch eine Hand gebunden ist, dann droht der völlige Verlust der Identität, des sich selbst wertschätzenden Seins. Und es kommt keinesfalls zur Integration in das andere System, sondern zu einem Dauerkonflikt.
Ich habe gebeten, mich an Bord zu holen, ich habe gebeten, das Floß mit mir zu verlassen – beides hat nicht stattgefunden.
Und nun merke ich, dass ich abrutsche, alle Kraft brauche, um mich zu halten, nicht unterzugehen.
Nichts habe ich ändern können, nur Hoffnung verloren und mein System beschädigt.
Die Sprache wird mir noch fremder, die Argumente fadenscheiniger, und ich selbst fühle mich verschlissen.
Jede Floßfahrt kostet Energie, birgt Risiken, kann an einem Wasserfall beendet sein, jede Fahrt hat ein Ziel.
Ich habe es verfehlt, bin nicht in Landnähe ausgestiegen, ich war stark und glaubte mich allen Systemen gewachsen.
Falsch gedacht.
Hoffentlich reicht meine Energie noch zum Schwimmen.

Teilchenzoo

Sonderausstellung in Bremen im Universum, zu Preisen, als ob hier Clooney persönlich den Nespresso ausschenken würde; originell, aber nur für Atomphysiker nachvollziehbar.

Dafür recht interessante Ausstellung zum Thema Mensch, ein schöner Spielplatz für Kinder, bei dessen Betrachtung ich kurz bereue, keinem staunenden Kind persönlich die vielen Wunder zeigen zu können, eine didaktisch kluge Konfrontation mit der uns eigenen Art, mittels der Nutzung des Großhirns sowohl Splittergranaten, als auch allerschönste und poetische Aussagen hervorbringen zu können.

„Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus welchem wir nicht getrieben werden können“
(Jean Paul)

„Man muss seinen Traum finden, dann wird der Weg leicht“
(H. Hesse)

Hurricane

… hier laufen online im Minutentakt Meldungen über die Zubringerzüge ein, die mich morgen zur Hauptverbindung nach Hause bringen sollen: fast jeder zweite Zug ist bereits durch Vandalismus schwer beschädigt und Verspätungen um mehrere Stunden sind momentan die Regel bzw. komplette Zugausfälle; ja, herzlichen Dank auch, dass diese grenzdebilen Pickelgesichter eine Kleinstadt überrollen und – statt ein Fest des Rock zu geniessen – alles zerstören müssen nach dem Komasaufen.
Ich werde Stunden früher fahren, als eigentlich vorgesehen, um vielleicht den Besoffenen zuvor zu kommen.
Und das Thema „Deutschlands Norden“ ist damit auch für mich erledigt; das Scheißwetter hat mir bereits drei Tage dringend nötiger Erholungszeit versaut, und mir reicht die hier häufig anzutreffende Mischung aus Blödheit und Geilheit und Suff im Nieselregen.

back on the rails again

grauenhaft abgehacktes WLAN im ICE, Facebook ist offenbar komplett ausgefallen, ich schreibe Grüße an fünf Leute, die rückstandslos im elektronischen Nirvana verschwinden, so macht das keinen Sinn.
Ich habe die letzte Reservierung bekommen in einem Abteil, in dem laut Beschilderung alles verboten ist, aber immerhin auch den letzten Sitzplatz ergattert, während draussen auf den Gängen schreiende Kinder versuchen, aus den Zugtüren und -fenstern zu hopsen oder von Vorübergehenden Wegezoll einzufordern und vier Stunden lang stärker grölen, als Horden von gepiercten Festivalbesuchern, die unterwegs sind zum Hurricane Festival in Scheeßel, dem Woodstock von Deutschlands Norden, wo schon Babies Korn trinken und ganze Ortschaften nur als eine Art gemeindenahe Psychiatrie zu betrachten sind.
Hätte ich das vorher gewusst, wäre ich mit dem Audi gefahren, und das zu einem Drittel des Preises, den mich der Trip mit Bahncard 25 kostet.

Im Abteil außer mir zunächst noch zwei Paare im frühen Rentenalter, bepackt mit Zeitschriften mit Bildergeschichten über alle Königshäuser dieser Welt (wer kriegt von wem kein Baby, welche Prinzessin hat zu enge Slips beim letzten Ball getragen, alles Themen, die mich schlaflos machen) und taschenweise alkoholischer Getränke (vornehmlich Jules Prickelbrause, die selbst in einem dunklen Puff nicht mehr gereicht werden würde) und Astra-Bier in 0,5 Liter Dosen, die bald aufgebraucht sind. Leider hat das Bordbistro genug Nachschub.
Diese Vollmitglieder der Menschengruppe, die mich am ärgsten nervt, fahren, wie unschwer ‚rauszuhören ist, zu jeder Gelegenheit in deutsche Großstädte oder reizvolle Weinanbaugebiete, nur um festzustellen, dass es zu Hause doch am schönsten ist, sind sich in der Abendgestaltung sofort einig (ein netter Bierkeller soll es sein), finden Berlin Scheiße wegen der vielen Baustellen und werden von Glas zu Glas lauter und dümmlicher.
Ich sehe die förmlich vor meinem inneren Auge in der schicken, heimeligen Küche aus Eichenimitat sitzen, sagen wir mal, in Wanne-Eicklel, und sich schon bei der ersten Durchsicht der BILD ein Piccolöchen einpfeifen, gefolgt von vielen weiteren Fläschchen und Döschen und Gläschen, bis sie den gewohnten Tagespegel Blutalkohol intus haben, um mir und sich auf den Geist zu gehen; als ich sehe, wie eine der Frauen mit Betonfrisur auf ihrem iPad-Imitat eine Art Wechselspiel für Vorschulkinder versucht, möchte ich bitterlich weinen.
Ich drücke mir die Ear-Phones ‚rein und versuche, einen Film zu sehen; schließlich steigt eine ganz unzweifelhaft herb-schöne Frau zu und stellt ihre langen, gepflegten Beine neben meine, isst ein sicher sehr gesundes Vollkornbrot zu einem Schluck reinen Wassers und liest(!) ein Buch(!), was in meinen Kreisen immer noch als ziemlich sicheres Zeichen für den Abschluss mindestens der Realschule gilt, es sei denn, der Titel wäre „Angélique und der König“.
Unsere Blicke kreuzen sich mehrfach, wir drehen die Augen gen Himmel und lächeln, und ich bin kurz davor, ihr eine sanfte und sinnliche Massage ihrer in feinsten Suede-Leather-Slippern steckenden nackten Füße anzubieten., als ein besonders prollig schrilles Lachen der Truppe neben mir mich in die Realität zurück holt.

Regen draussen, Regen in Bremen, Regenschauer später beim Training im Moorwald, später ein Film über Las Vegas, der mich sehnsüchtig an längst vergangene Aufenthalte dort erinnert, Tiefschlaf.

Messages trudeln ein, auch vom Zentrum, von wo aus mir brav das Eintreffen eines reparierten Testgerätes gemeldet wird, ich bin allein in der Fussgängerzone und trinke Kaffee für 1,90.-, das Leben könnte so schön sein; im Moment wäre ich schon mit etwas Wärme und Sonne zufrieden.
Heute wieder Walking, drei Stunden – ich bin zu erschöpft, um gerade zu stehen; morgen Ausstellung „Teilchenzoo“ in Bremen und dort später Shoppen und Essen gehen; Sonntag – wahrscheinlich mit tausenden Schwerstalkoholisierten vom Festival – zurück nach W. und zurück in den Alltag.