Teilchenzoo

Sonderausstellung in Bremen im Universum, zu Preisen, als ob hier Clooney persönlich den Nespresso ausschenken würde; originell, aber nur für Atomphysiker nachvollziehbar.

Dafür recht interessante Ausstellung zum Thema Mensch, ein schöner Spielplatz für Kinder, bei dessen Betrachtung ich kurz bereue, keinem staunenden Kind persönlich die vielen Wunder zeigen zu können, eine didaktisch kluge Konfrontation mit der uns eigenen Art, mittels der Nutzung des Großhirns sowohl Splittergranaten, als auch allerschönste und poetische Aussagen hervorbringen zu können.

„Die Erinnerung ist das einzige Paradies, aus welchem wir nicht getrieben werden können“
(Jean Paul)

„Man muss seinen Traum finden, dann wird der Weg leicht“
(H. Hesse)

Hurricane

… hier laufen online im Minutentakt Meldungen über die Zubringerzüge ein, die mich morgen zur Hauptverbindung nach Hause bringen sollen: fast jeder zweite Zug ist bereits durch Vandalismus schwer beschädigt und Verspätungen um mehrere Stunden sind momentan die Regel bzw. komplette Zugausfälle; ja, herzlichen Dank auch, dass diese grenzdebilen Pickelgesichter eine Kleinstadt überrollen und – statt ein Fest des Rock zu geniessen – alles zerstören müssen nach dem Komasaufen.
Ich werde Stunden früher fahren, als eigentlich vorgesehen, um vielleicht den Besoffenen zuvor zu kommen.
Und das Thema „Deutschlands Norden“ ist damit auch für mich erledigt; das Scheißwetter hat mir bereits drei Tage dringend nötiger Erholungszeit versaut, und mir reicht die hier häufig anzutreffende Mischung aus Blödheit und Geilheit und Suff im Nieselregen.

back on the rails again

grauenhaft abgehacktes WLAN im ICE, Facebook ist offenbar komplett ausgefallen, ich schreibe Grüße an fünf Leute, die rückstandslos im elektronischen Nirvana verschwinden, so macht das keinen Sinn.
Ich habe die letzte Reservierung bekommen in einem Abteil, in dem laut Beschilderung alles verboten ist, aber immerhin auch den letzten Sitzplatz ergattert, während draussen auf den Gängen schreiende Kinder versuchen, aus den Zugtüren und -fenstern zu hopsen oder von Vorübergehenden Wegezoll einzufordern und vier Stunden lang stärker grölen, als Horden von gepiercten Festivalbesuchern, die unterwegs sind zum Hurricane Festival in Scheeßel, dem Woodstock von Deutschlands Norden, wo schon Babies Korn trinken und ganze Ortschaften nur als eine Art gemeindenahe Psychiatrie zu betrachten sind.
Hätte ich das vorher gewusst, wäre ich mit dem Audi gefahren, und das zu einem Drittel des Preises, den mich der Trip mit Bahncard 25 kostet.

Im Abteil außer mir zunächst noch zwei Paare im frühen Rentenalter, bepackt mit Zeitschriften mit Bildergeschichten über alle Königshäuser dieser Welt (wer kriegt von wem kein Baby, welche Prinzessin hat zu enge Slips beim letzten Ball getragen, alles Themen, die mich schlaflos machen) und taschenweise alkoholischer Getränke (vornehmlich Jules Prickelbrause, die selbst in einem dunklen Puff nicht mehr gereicht werden würde) und Astra-Bier in 0,5 Liter Dosen, die bald aufgebraucht sind. Leider hat das Bordbistro genug Nachschub.
Diese Vollmitglieder der Menschengruppe, die mich am ärgsten nervt, fahren, wie unschwer ‚rauszuhören ist, zu jeder Gelegenheit in deutsche Großstädte oder reizvolle Weinanbaugebiete, nur um festzustellen, dass es zu Hause doch am schönsten ist, sind sich in der Abendgestaltung sofort einig (ein netter Bierkeller soll es sein), finden Berlin Scheiße wegen der vielen Baustellen und werden von Glas zu Glas lauter und dümmlicher.
Ich sehe die förmlich vor meinem inneren Auge in der schicken, heimeligen Küche aus Eichenimitat sitzen, sagen wir mal, in Wanne-Eicklel, und sich schon bei der ersten Durchsicht der BILD ein Piccolöchen einpfeifen, gefolgt von vielen weiteren Fläschchen und Döschen und Gläschen, bis sie den gewohnten Tagespegel Blutalkohol intus haben, um mir und sich auf den Geist zu gehen; als ich sehe, wie eine der Frauen mit Betonfrisur auf ihrem iPad-Imitat eine Art Wechselspiel für Vorschulkinder versucht, möchte ich bitterlich weinen.
Ich drücke mir die Ear-Phones ‚rein und versuche, einen Film zu sehen; schließlich steigt eine ganz unzweifelhaft herb-schöne Frau zu und stellt ihre langen, gepflegten Beine neben meine, isst ein sicher sehr gesundes Vollkornbrot zu einem Schluck reinen Wassers und liest(!) ein Buch(!), was in meinen Kreisen immer noch als ziemlich sicheres Zeichen für den Abschluss mindestens der Realschule gilt, es sei denn, der Titel wäre „Angélique und der König“.
Unsere Blicke kreuzen sich mehrfach, wir drehen die Augen gen Himmel und lächeln, und ich bin kurz davor, ihr eine sanfte und sinnliche Massage ihrer in feinsten Suede-Leather-Slippern steckenden nackten Füße anzubieten., als ein besonders prollig schrilles Lachen der Truppe neben mir mich in die Realität zurück holt.

Regen draussen, Regen in Bremen, Regenschauer später beim Training im Moorwald, später ein Film über Las Vegas, der mich sehnsüchtig an längst vergangene Aufenthalte dort erinnert, Tiefschlaf.

Messages trudeln ein, auch vom Zentrum, von wo aus mir brav das Eintreffen eines reparierten Testgerätes gemeldet wird, ich bin allein in der Fussgängerzone und trinke Kaffee für 1,90.-, das Leben könnte so schön sein; im Moment wäre ich schon mit etwas Wärme und Sonne zufrieden.
Heute wieder Walking, drei Stunden – ich bin zu erschöpft, um gerade zu stehen; morgen Ausstellung „Teilchenzoo“ in Bremen und dort später Shoppen und Essen gehen; Sonntag – wahrscheinlich mit tausenden Schwerstalkoholisierten vom Festival – zurück nach W. und zurück in den Alltag.