Systeme

dann lass‘ uns tanzen, wie du es nennst, lass‘ mich die Schritte lernen, um dem Schwung zu folgen, erzähl‘ mir Geschichten für solche, die erwachsen werden wollen.
Von mir musst du nicht viel wissen; ich bin das Bild einer Wärmekamera, eines Spiegelkabinetts, ich bin ein flüchtiger Duft, ein Lächeln, eine Wendung in Zeitlupe.

Ich habe lange Jahre auf einem Floß gelegen, mit dem halben Körper im Wasser und ständig in Gefahr, auf hoher See verloren zu gehen, nur gehalten mit einer Hand, jeder Brecher ein Kräftemessen, unter den Blicken derer, die das Floß besetzt hatten und neugierig waren und gefühllos. Ich war nicht vergessen, ich war anzuschauen, ich war der, der am Floß hing für alle Fälle, der, der keinen Platz verbrauchte, der vom Wasser getragen kein Ballast war.
Nie habe ich Menschen gesehen, die weniger Gefühl und Einfühlungsvermögen gehabt hätten, nie war ich in so großer Gesellschaft so allein.
Jahre habe ich gebraucht, um zu begreifen, dass ich die Regeln nicht kannte, die auf dem Floß galten, dass meine Regeln andere waren, von Wert an Land, wertlos auf dem Wasser.
Und so habe ich gelebt, denn du musst nach den Regeln spielen, die dort gelten, wo du dich festklammerst, und das wird umso schwerer, je deutlicher wird, dass du deine Regeln und Werte nicht vergessen konntest.
Irgendwann geht es nicht mehr um Regeln und Werte, irgendwann zeigt sich das, was über solchen Begriffen steht, als Gerüst, als Summe: das System.
Regeln und Werte, verletzendes Verhalten, Destruktion können besprochen werden, in Stücke zerlegt betrachtet werden, sogar isoliert und geändert werden – Systeme nicht.
Und wenn ich halb in meinem System, halb in dem System anderer lebe und dabei auch eine Hand gebunden ist, dann droht der völlige Verlust der Identität, des sich selbst wertschätzenden Seins. Und es kommt keinesfalls zur Integration in das andere System, sondern zu einem Dauerkonflikt.
Ich habe gebeten, mich an Bord zu holen, ich habe gebeten, das Floß mit mir zu verlassen – beides hat nicht stattgefunden.
Und nun merke ich, dass ich abrutsche, alle Kraft brauche, um mich zu halten, nicht unterzugehen.
Nichts habe ich ändern können, nur Hoffnung verloren und mein System beschädigt.
Die Sprache wird mir noch fremder, die Argumente fadenscheiniger, und ich selbst fühle mich verschlissen.
Jede Floßfahrt kostet Energie, birgt Risiken, kann an einem Wasserfall beendet sein, jede Fahrt hat ein Ziel.
Ich habe es verfehlt, bin nicht in Landnähe ausgestiegen, ich war stark und glaubte mich allen Systemen gewachsen.
Falsch gedacht.
Hoffentlich reicht meine Energie noch zum Schwimmen.