das Leben ist kein Spiel, denke ich vom ersten Moment der Abreise an, aus dem pausenlosen kalten Regen bis Freiburg und dort auf einen Mini-Platz, auf dem sehr viele tätowierte Menschen („Chantal for ever“) viel Bier trinken und viele, viele Pommes frites essen.
Ab in die Altstadt, ab in die Schminke der Touristenstadt, die uns die Zivilisation vorspielt, von der uns wenige Hundert Kilometer trennen.
Wie immer wird aus der langweiligen Schweiz plötzlich Italien und die Sonne kommt zum Vorschein, wie immer bezahlt man Unsummen an die Telekom und an ihr italienisches Pendant, um nirgendwo Empfang zu haben.
Es ist nicht das erste Mal in meinem Leben, dass ich Grenzen erweitern wollte, meinen Erlebnishorizont bereichern wollte, Neues entdecken wollte, auf den Spuren der Altvorderen wandelnd, den Ursprung finden wollte.
Und ich lande auf einem Campingplatz. Hat 5 Sterne, was mich erstarren lässt bei der Überlegung, wie wohl 2-3 Sterne aussehen könnten. Aqua non potabile?
Irgendwo zwischen der wundervollen Schweizer Seite des Lago Maggiore und dem Ende der Welt bewohne ich ein aus wenig reissfestem Kunststoff bestehendes schwabbeliges haushohes Zelt, in dem ich mich bewege, wie ein Raumfahrer in der Schwerelosigkeit – allein: es gibt nirgendwo Griffe oder Haltestangen oder Seile, die mir die Illusion geben könnten, dies hier sei wirklich.
Innen sind so um die 45 Grad Celsius (gefühlte Temperatur), aussen nachts weniger, tags mehr. Pfiffig.
Ab und zu falle ich einfach um, was sehr gesellig ist, weil man dabei oft in einem Nachbarzelt landet und mit vielen fremden Leuten in Kontakt kommt, die zwar eine andere Sprache sprechen, aber ebenso abartig riechen, wie man selbst.
Ich habe leichte Sommerkleidung dabei (französische Wirkware, La Coste, Prada, Nadelstreifenshorts, alles ganz unprätentiös), und bin innerhalb weniger Tage zur Attraktion des Platzes geworden, weil viele Kinder bei meinem Anblick kreischen und von ihren superfetten Müttern wissen wollen, woher das fremde Wesen komme; ab morgen nehme ich Eintritt, kriege aber tagsüber einen eigenen Käfig.
Die Nächte sind lau und lehrreich.
Empörung dort, wo der 2-Meter-Sat-Fernseher keinen Empfang kriegt, gute Laune da, wo nach dem 12. Bier schnaufende Männer sich neben mich an die Pissoirs stellen und irgendwas treffen, meistens mich.
Wenn ich dann wieder liege und so zum Klang nebenan kopulierender Zeitgenossen merke, dass mir schon wieder eine gemeine rotköpfige Ameise in den Hintern zu kriechen versucht, wimmere ich mich in Träume von richtigen Hotels, mit Bad und WC und geruchsfreien Socken. Um 3 Uhr fällt das LED-Licht ultraplötzlich komplett aus; ich lerne beten, weiss genau, ich habe Ersatzbatterien, die ich natürlich ohne Licht nicht finde…
Reihum haben alle mittelschwere grippale Infekte und schauen mich hustend treuherzig an, bis ich die letzten Kontingente Codein ‚rausrücke. Natürlich werden die Betroffenen erst behandelt, nachdem sie drei Tage Zeit hatten, alle anderen anzustecken, schließlich habe ich Medizin studiert, um mich von Oberlehrer-Homöopathen belehren zu lassen; nachts Träume von einer heißgelaufenen Uzi, das kann aber auch daran liegen, dass zwischen der Schwabbel-Luftbett-Oberseite und dem Grasboden nur wenige Zentimeter verbleiben, morgens. Alte Regel: altes Gummi hat oft Löcher (gilt nicht nur beim Camping).
(Bildet sich da ein kleiner Dekubitus am Steiß?)
Tauchschule? Niente – und mit verschwollenem Nasenrachengängen nehme ich niemand mit in die Trommefellblutung.
Irgendwo in mir, tief noch, aber sich abzeichnend, reift ein Entschluss.
Ich werde in diesem Leben nicht eher wieder einen Campingplatz betreten, bis ich den Grundlehrgang US-amerikanischer Resozialisierungs-Camps erfolgreich absolviert habe.
Wer das schafft, der sollte auch hier all die Mannigfaltigkeit des Lebens, alle am Arm zu tragenden Bezahlkettchen, Lätzchen, Windeln, Bindegewebsrisse, Bauchnabelhanteln, etc verarbeiten können, gestählt von diesem durch nichts mehr zu toppende deutsche Spiessigkeit, gegen den sich ein wirklich großer und bunter Gartenzwerg ausnehmen würde, wie ein avantgardistisches Monument.
Kann dennn Ekel schmerzhaft sein?
Er kann, ebenso, wie diese hyperbreitbereiften Geländewagen, Männer mit weissblonden Strähnchen in der Matte und Frauen mit vereiterten Aus-und Eintrittsstellen ihrer Gesichtspiercings.
Niemand will ich etwas Böses nachsagen, der so leben möchte! Nota bene: ich habe auch Väter gesehen, die mit solch aufrichtiger Liebe ihre kleinsten Jungen und Mädchen umsorgt und mit ihnen liebevoll getobt haben, dass sanfter Neid bei mir, der das nie gekannt hat, aufkam. Verstehen Sie, dass solchen Männern mein Respekt gehört? Die ein schweres und eher ödes Arbeitsleben gerne auf sich nehmen, um die Familie satt und glücklich zu machen, die Kleinen. Der Mann, der mit Gummiente und bekleckert vom Eis den Kleinen die Eimerchen und Schaufeln trägt, saudumme Trickfilme mitansieht, weil seine Kinder lachen, der wird mich adeln durch seinen Händedruck, der darf mich duzen; ich habe nie Respektlosigkeit von solchen Menschen erlebt.
Einmal habe ich fast geweint: da hat eine Frau die Plastikplane vor ihrem Zelt (mit Lichterkette) gefegt.
Gefegt. Mit einem Besen. Ganz bedächtig. Und das Zelt sah drinnen aus, wie eine Müllkippe.
Das macht einen stolz, Deutscher zu sein.
Nachtrag, am nächsten Tag: seit vierzehn Stunden sitze ich, sehr kurz zum Abbruch des Urlaubes entschlossen, in einer endlosen Kette von verspäteten Zügen, die mich nach Hause bringen sollen.
Ich habe gelernt, dass ich jede Form ununterbrochenen Kontaktzwanges unerträglich finde und Menschen, die wenig Gespür dafür haben, wann ich weder Entertainer sein will, noch kostenloser ärztlicher Berater, nicht belehrt werden will und mich nicht verbrüdern möchte, einfach meinen Platz im Schatten haben will, an dem ich mir keine Geschichten anhören will, auch keine schlüpfrigen, schlicht unverschämt finde.
Jeder Mensch braucht seine Fluchtdistanz, und ob meine 50 cm oder 3 Meter beträgt, das weiss ich nicht; sicher ist sie nicht besonders groß und sicher hat sie ihre Tücken und Lücken.
Aber die distanzarme Mischung aus heiserem Husten, wabbeligen Luftbetten, feuchten Gerüchen und subtilen Rangordnungskämpfen, die Tiefergehendes verbergen, die eskalieren eben bis zu Kurzschlusshandlungen.
Und wenn, andersherum, ein jeder Gruppenplanung implizites Gemeinschaftserlebnis dadurch verunmöglicht wird, dass mal der eine aus Lustlosigkeit dann doch nicht mitmacht, meistens aber ein anderer (ich) ganz ostentativ gezwungen wird, sportliche Aktivitäten (z. B. Bergwanderungen) entweder mitzumachen (Bergführer ist Pflicht, untrainierte und in Anbetracht diverser schwerer, aber tapfer und erfolgreich bewältigter Erkrankungen nun doch etwas lädierte Herren sind eine Behinderung, „Entschleuniger“) oder tagelang allein herumzusitzen, dann ist kein Schelm, dem Böses dabei schwant.
Der Vorhang fällt; allein sein kann ich auch allein, und vorzuführen, wie aus einer Verletzung auf glitschigem Geröll u. U. ein kleines Drama werden kann, dafür bin ich mir zu schade.