zurück zum See

das Wetter wird dann später doch besser, als erwartet, ich beschließe, wieder zum See zu fahren und den zu umrunden, vorbei am halb aufgebauten Riesenrad, aber es wird eine schwere Tour, weil all die bekannten Abkürzungen plötzlich verschlossen sind; nirgendwo Hinweise, keine Warnungen, der Weg endet einfach.
Und meine exakt eingeteilten Kraftreserven sind schlagartig verbraucht, als ich begreife, dass ich nun einige Kilometer mehr zu machen habe und fluchend weitergehe, als ob ich die Füße hinter mir her schleife.
Endlich eine dieser Luxus-Restaurant-Ritterburgen, endlich ein Platz in der Sonne, endlich Getränke zum Schlucken der Miniration, die ich immer am Mann trage.
Neben den kleinen Biergartenparzellen für staubige Wandere stehen Oldtimer und Buffets und kleine Mädchen laufen spielend über den Hof; zwei Hochzeiten werden gefeiert, und eine Braut sieht aus, wie vom Himmel gefallen, klein und zart und schlank und wunderschön und fröhlich; der Wind treibt mir eine Wolke potenter Allergene auf die Schleimhäute und plötzlich sind meine Augen nass und ich sende eine kleine Bitte ins Nirgendwo, dass dieses wunderschöne Mädchen niemals getrennt sein möge von dem ebenso schönen Mann neben ihr, mit dem sie sich verbindet heute, möge sie nie verbittert weinen, gescheitert an Ehe-Experimenten, und ich habe eine Vision, die ich wohl irgendwann aus Italien mitgebracht habe, eine Vision, in der ein solches Paar den langen Weg erfolgreich gegangen ist, faltig und korpulenter geworden und etwas humpelnd beim langsamen Gang, und jeder sieht im anderen den, der er und sie waren vor 50 Jahren.
Okay: offenbar Unterzuckerung.

Ich verschlinge Kuchen und Getränk und suche den Wagen, bin bald wieder im Tal und finde einen Tisch in einem neuen türkischen Restaurant, bestelle eine große Platte Fleisch und Reis und Salat und Glas um Glas türkischen Tee, heiß und süß und in jede Körperzelle einsickernd, bis ich mich wieder bewegen kann, Muslimas mit Kopftuch und ausgelatschten Schuhen sitzend mit 3 bis 5 Kindern am Tisch um mich herum, die männlichen Familienoberhäupter blicken ins Leere und halten ihre kleinen Töchter bei sich, es gibt kein Schweinefleisch, es gibt keinen Alkohol; finde aber beim verstohlenen Umherblicken junge Türkinnen der dritten Generation mit schrillen Frisuren und roten Strähnen und Schminke wie von der Hauswand, etwas frech wirkend, sehr ansehnlich.

Später schlafe ich fast ein unter der heißen Dusche, liege flach und kaum bekleidet in der Abendwärme; es ist sehr spät geworden.
Ich denke an Texte, die ich gelesen habe, ich denke an Worte, die ich gesagt habe, zu den Rückenschmerzen gesellt sich ein sanfte Traurigkeit, und ich warte, bis ich zu Blei werde, nichts mehr abwehren will, nicht mehr kämpfen will, auch nicht dagegen zu wissen warum es ist, wie es ist; mein ganzer Körper schreit nach einer zarten Berührung, stattdessen falle ich in Tiefschlaf, als mein Gesicht das Kissen berührt.

Heute war ich beim Spanier in der Mittagspause, habe bei Tchibo eine funktionierende Bluetooth-Fernbedienung zum Auslösen der iPhone-Kamera gekauft (ich KANN an nichts vorbeigehen, was rote und blaue Dioden hat!) und eine kreischende, hysterische Ziege, die sich mit einem alten Sack, der sich angeblich auf ihren Schoß setzen wollte, rotzig stritt und dabei so laut und ganz offenbar so begeistert von ihrem Kampf um die Rechte der Frau in Kaffeebars war, dass ich mich selbst kaum zurückhalten konnte, sowohl sie, als auch den alten Sack mit einer Packung Gartenschlauch, die ebenfalls im Angebot auslag, zu meucheln; bin gegangen, als zwei dieser in den Shoppingmalls herumstehenden Sicherheitsfachkräfte erschienen, diese Leute, die immer Schwabbel oberhalb des Gürtels haben, an dem sie schön nebeneinander aufgereiht Tränengas, eine MagLite, ein Schlagstöckchen und Handfesseln tragen und vor allem ein Funkgerät, mit dem sie sich alle drei Minuten gegenseitig anpiepsen („Charlie 1 ruft Charlie 2 – hier alles rodscher!“), um ihre Existenz zu rechtfertigen und abends vor der Schrankwand eine Palette Hansa wegputzen, während sie ihrer Frau, die gerade die neuen Gel-Nagelverlängerungen anklebt, für die man eigentlich einen Waffenschein bräuchte, erzählen, wie gefährlich ihr Job ist.